In unserer modernen Welt haben wir die Dunkelheit weitgehend aus unserem Alltag verbannt. Mit elektrischem Licht erleuchten wir nachts unsere Wohnungen. In den Städten gibt es überall Straßenbeleuchtung so dass wir die Dunkelheit regelrecht suchen müssten, wenn wir sie erleben wollten. Der Himmel der Stadt ist in der Nacht durch die Reflexion der Lichter ebenfalls erhellt.
Die Dunkelheit ist uns unheimlich, im Dunklen haben wir Angst, im Dunkeln lauert Gefahr. Das hängt auch damit zusammen, dass unsere Sicht stark eingeschränkt ist, was wir in der Regel mit Kontrollverlust verbinden und daher meiden. Wir haben unseren Sehsinn so stark entwickelt, dass wir die anderen Sinne vernachlässigen und vergleichsweise wenig Erfahrung damit verbinden. Daher trauen wir ihnen nicht wirklich.
Dieses Verhalten entspricht unserem linearen Weltbild, das in sich ausschließende Dualitäten aufspaltet: In Tag und Nacht, in gut und böse, in richtig und falsch und hell und dunkel.
Dabei beginnt die Bewegung zur Dunkelheit noch bevor wir den Sommer erlebt haben. Und die Hellig-keit bahnt sich ihren Weg, wenn der Winter noch vor uns liegt. Dieses Paradox weist auf den eigentlichen polaren Charakter hin.
Wir nähern uns jetzt der dunkleren Jahreshälfte, dem Winter. Die Tage werden kürzer, die Nächte länger und damit die Dunkelheit präsenter. Ein Umstand, der uns nicht gefällt. Wir haben zum großen Teil verlernt, die Dunkelheit zu schätzen.
Alte Erdvölker achten die Dunkelheit. Dieses Denken entspricht einem zyklischen Weltbild, indem das eine nicht besser oder schlechter ist, als seine Entsprechung. Sie wissen, dass das Leben, welches sich am Tag und in der Helligkeit zeigt, in der Dunkelheit entstanden, gewachsen und gereift ist. So reift jede Pflanze unter der Erde heran, bis sie soweit ist, dass sie ans Licht durchbricht. Auch wir Menschen entstehen in der Dunkelheit unseres Mutterleibes und sind vollständig angelegt, bevor wir „das Licht der Welt“ erblicken.
Schöpfung entsteht in der Dunkelheit, im Inneren der Erde, oder im Inneren der Lebewesen. So ge-schieht es.
Wenn wir die Angst vor der Dunkelheit verlieren, können wir uns bewusst der Dunkelheit in unserem eigenen Inneren anvertrauen und uns fragen, was nun unsere Absicht ist. Was wollen wir wirklich, wovon träumen wir? Was will entstehen? Je bewusster wir diese Zeit für uns nutzten, je mehr ist später im Licht zu sehen.
So wie Tag und Nacht, Sommer und Winter wechseln, ist auch gewiss: Die Zeit im Dunkeln ist endlich. Dies vergessen wir mitunter. Deshalb wollen wir sie gar nicht.
Wenn wir diese Erkenntnis integrieren, wird es leichter, bewusst ins Dunkel zu gehen und auf diese Weise Energie aufzunehmen. Dies kann man tun indem man sich wirklich an einen dunklen Ort (z.B. nachts in den Wald) begibt und dort einfach ist. Eine andere Möglichkeit besteht darin sich in einem ruhigen, abgedunkelten Zimmer und geschlossenen Augen nach Innen zu wenden.
Wir wünschen einen schöpferischen Winter!