03.12.2019 | Blog

Sich Einlassen ermöglicht Loslassen

Ein Artikel von: Christin Colli

Loslassen ist ein weites Feld. Im Coaching und auch in anderen Situationen berichten mir Menschen immer wieder davon, dass es für Sie darum geht etwas „loszulassen“: Kinder, die erwachsen werden; Partner*innen, die einen anderen Weg einschlagen; Status, Sicherheit, die ein Job im Angestelltenverhältnis bietet, und vieles mehr.
Wenn Menschen das Wort „loslassen“ in diesem Zusammenhang wählen oder ihre Schwierigkeiten im Umgang mit diesen Veränderungen beschreiben, ist das meistens ein Hinweis darauf, dass die damit einhergehende Veränderung ein Gefühl des Verlusts beinhaltet und dieses die eigentliche Herausforderung darstellt.
Das Leben ist Veränderung, theoretisch ist das den meisten Menschen klar. Fühlen und Handeln sind oft im Widerstand gegen Veränderung. Was lässt uns manche Dinge verändern, ohne dass wir irgendwelche Schwierigkeiten dabeihaben und anderes fühlt sich schwer und verlustreich an? Und wie können wir mit diesem Gefühl umgehen?

Selbstgewählt oder aufgezwungen
Veränderung ist oft selbstverständlich und einfach, wenn wir sie selbst wählen. Oft merken wir nicht einmal, dass wir ohne Probleme etwas loslassen. Schwieriger wird es, wenn wir die Veränderung nicht selbst initiiert haben und wir das Gefühl haben eine Veränderung akzeptieren zu müssen, aber nicht wollen: der Partner oder die Partnerin verlässt uns, uns wird gekündigt, irgendetwas Unerwartetes schubst uns aus unserer Komfortzone, wir fühlen uns als Opfer und glauben das Alte nicht loslassen zu können.
Hier lohnt es sich das eigene Nicht-Können zu hinterfragen und „nicht können“ mit „nicht wollen“ zu ersetzen. Das ist zwar konfrontierend und zwingt uns Verantwortung für unsere Gefühle zu übernehmen, es hilft uns aber gleichzeitig auch dabei den inneren Widerstand gegen die Realität aufzugeben und dadurch zu erfahren, dass der Schmerz, den wir erfahren durch unseren eigenen Widerstand gegen die Realität erschaffen wurde.

Ich kann mich nicht entscheiden
Oft erfahren wir diese Schwierigkeiten mit dem Loslassen aber ebenfalls, wenn wir uns selbst nicht entscheiden können. Eigentlich stünde eine Veränderung an, aus tausend Gründen gehen wir sie aber nicht an. Ewig wiederholt sich das Gedankenkarussell: „Ich habe schon so viel investiert“, „wenn ich das jetzt aufgebe, was habe ich dann überhaupt noch?“ Oft hoffen wir, dass es besser wird, wenn wir uns nur noch mehr anstrengen. Wir verharren dann in unangenehmen Konstrukten und fühlen uns schlecht dabei. In der Regel wird es schlimmer, obwohl wir uns anstrengen. Dennoch ziehen wir diese vertraute, bekannte Komfortzone (die sich dann schon gar nicht mehr komfortabel anfühlt) weiterhin dem unbekannten Neuen vor.
Sich nicht für die Veränderung zu entscheiden und daran festzuhalten, „sich nicht entscheiden zu können“ wurzelt oftmals darin, dass wir uns nie wirklich ganz auf das eingelassen haben, was es jetzt loszulassen gilt. Menschen, Umstände und Situationen, auf die wir uns wirklich eingelassen haben zum Zeitpunkt ihrer Aktualität in unserem Leben können wir gut loslassen, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Loslassen können hat also viel mit Einlassen können zu tun.
Einlassen können bedeutet: ich gebe 100 Prozent Einsatz für meine Arbeit, meine Beziehung, meine Kinder, ein Projekt oder worum es sich auch immer handelt, in dem Zeitraum, in dem ich wirklich dafür gebraucht werde.

Einlassen auf das Hier und Jetzt
Dafür braucht es die Bereitschaft, sich auf das gewählte Hier und Jetzt wirklich einzulassen und nicht in der Gewohnheit gefangen zu bleiben, zu allem eine Distanz zu kultivieren.
Unsere heutige Zeit verführt geradezu dazu, sich nicht wirklich einzulassen, sind wir doch ständig mit den vielen Möglichkeiten im Kontakt, die wir auch noch hätten. Ununterbrochen können wir unsere Aufmerksamkeit ablenken und der Tiefe des sich Einlassens entgehen. Gleichzeitig sehnen wir uns nach nichts mehr, als nach tiefen unser ganzes Wesen erfassenden Erfahrungen, um uns selbst zu spüren.
Es lohnt sich also, die eigene Bereitschaft, zu etwas „JA“ zu sagen, zu überprüfen und zu üben. Dafür ist radikale Selbsterforschung nötig: Was erhoffe ich mir davon, Hintertüren offen zuhalten? Was befürchte ich zu verlieren, wenn ich mich einlasse? Wovor habe ich Angst? Was kostet es mich aber auch, mich nicht wirklich einzulassen?

Unser Selbstbild loslassen für persönliches Wachstum
Bei Themen wie Loslassen oder Einlassen geht es letztendlich immer auch um unser Selbstbild, unser Identitätsgefühl: Wer bin ich, wenn ich diesen Partner, diesen Job, diese Rolle, meine Kinder, diese Stadt nicht mehr als identitätsstiftend erleben kann, weil sie mich verlassen oder ich plane sie zu verlassen? Was bleibt sozusagen von mir übrig? Oft ist die Betrachtungsweise rückwärtsgewandt und fokussiert den Verlust. Das Potential für die Gegenwart und Zukunft wird nicht gesehen. Es ist nicht im Blick. Informationen, die die Kreation eines neuen Selbstbildes mit erweitertem Erfahrungsspektrum begünstigen, kommen nicht durch die Wahrnehmungsfilter und können auch nirgends „andocken“. Dafür bräuchte es eine bewusste Ausrichtung auf etwas Anderes, etwas Neues, das mich lockt. Es ist durchaus möglich, dass dieses neue, größere, das mich lockt, mit ganz alten Sehnsüchten zusammenhängt, die ich arg vermisse. Jedenfalls lockt es mich so sehr, dass ich bereit bin, mein „altes Ich“, dass sich mit „nicht loslassen können“ identifiziert hat, grundlegend zu erweitern. Mir also zu erlauben, neue Erfahrungen von mir selbst machen zu dürfen. Für diese Möglichkeit lohnt es sich zu riskieren, sich auf neues Terrain zu wagen. Man könnte hier auch von einem Traum sprechen, den man wagt zu haben und dann auch noch wagt umzusetzen.

Der größere Zusammenhang:
Mein persönlicher Traum ist eine Welt, in der wir unsere üblichen Identitätskriterien (Geschlecht, Nationalität, Status, Berufsrolle) loslassen und uns auf neue Bilder über uns selbst einlassen. Unser kleines um jeden Preis abgegrenztes hochindividualisiertes Ich könnte es wagen, den Schritt zu einem viel größeren Selbst zu machen, einem neuronalen Netzwerk vieler einzelner Individuen, das, bildlich gesprochen, den ganzen Planeten vom Erdkern bis zur äußersten Atmosphärenschicht umfasst und Bewusstseinsevolution ermöglicht: Mit unserer Reflektionsfähigkeit und Vorstellungskraft können wir uns als die Gehirnzellen des Erdkörpers begreifen. Wir sind viele einzelne Individuen, die sich durch Vernetzung mit anderen „Gehirnzellen“ – also mit anderen Menschen – zu einem Gesamtbewusstsein des Planeten zusammenschließen. Die Erde ist ein sich in Evolution befindliches Wesen, durch Vernetzung ihrer Bewohner erwacht der Planet zu einem Bewusstsein seiner selbst und wir machen die Erfahrung von Individualität bei gleichzeitiger Verbundenheit mit dem Ganzen. Dadurch erleben wir unsere Schöpferkraft, übernehmen Verantwortung für den Erdkörper – von dem wir ein Teil sind – und manifestieren regenerative Lösungen und Innovationen. Ich bin dankbar, Teil des Gesamtbewusstseins der Erde zu sein und dadurch dem Gesamtkörper – zu dem auch ich gehöre – erfahren zu dürfen. Ich lasse mich ein auf die Erfahrung, die Erde zu sein.

Dieser Artikel erschien als Beitrag zur Ausgabe Nr. 15 „Loslassen“ des maas-Magazins.

 

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