04.07.2018 | Blog

Theorie U – Aktiv die Welt verändern

Ein Artikel von: Katharina Hemmers, Autorin

Wenn wir die Welt in ihrem jetzigen Zustand zum Positiven beeinflussen wollen, bringt uns nur das kollektive Bewusstsein weiter. Kein Buch hat mich in der letzten Zeit so darin bestärkt und begeistert, wie C. Otto Scharmers 2018 erschienenes Buch „Theory U – Core Principles and Applications“.

Wer ist C. Otto Scharmer:
C. Otto Scharmer lehrt und forscht am renommierten Massachusetts Institute of Technology, ist als Berater weltweit für unterschiedlichste Unternehmen und Institutionen tätig und ist Gründer des Presencing Institutes. Er ist aufgewachsen auf einer biodynamischen Farm in der Nähe von Hamburg. In seinem aktuellen Buch fasst er die Erkenntnisse seiner Theorie U (2006) in Kürze und verständlich zusammen.

Ist-Zustand
Wir leben in Zeiten von großer Zerrissenheit und Spaltung. Scharmer beschreibt in seinem Buch sehr detailliert, wie wir als Kollektiv kontinuierlich Ergebnisse produzieren, die keiner will (Zerstörung der Natur, Hunger, Armut, Klimawandel) und macht deutlich, wie sehr wir daher neue Bewusstseinsformen und Formen von Führung benötigen. Es geht ihm darum zu verdeutlichen, dass wir als Individuen das System sind und dieses gestalten und kreieren. Mehr vom Alten hilft nicht mehr. Theorie U bezieht sich auf den Moment, in welchem Innovation gefragt ist. Und das ist die absolute Realität der heutigen Zeit.

Scharmer liefert mit seinem Buch eine geniale, strategische Analyse und zeigt Möglichkeiten und Praktiken auf, wie jeder Einzelne am kollektiven Bewusstsein und an Veränderung mitarbeiten kann. Wie Veränderung von innen passiert. Wie wir gemeinsam das Bewusstsein der Welt verändern können und somit Einfluss nehmen auf einen Systemwandel. Sein Buch begeistert und ermutigt.

Zielgruppe der Theorie U sind Menschen, die an Entwicklungsfragen arbeiten wie Coaches, Führungskräfte und Wissenschaftler*innen, weshalb ich heute Teile seiner Theorie hier vorstellen möchte.

Woher kommt der Name?
Die Theorie U ist eine sehr gut verständliche Landkarte für tiefen persönlichen und sozialen Wandel. Das Buch ist ausgestattet mit vielen Schaubildern und Tafeln, die die Theorie erklären. Der Prozess der Theorie U folgt einer U Form. Hierbei spielen 5 Momente eine tragende Rolle:

  1. Seeing – hinsehen
  2. Sensing – hinspüren
  3. Presencing – mit der Quelle verbinden, anwesend werden
  4. Crystallizing – verdichten
  5. Co-creating – verkörpern

Auf der rechten Seite bewegen wir uns auf der Seite des U (dort ist alles zu finden, was außerhalb unser Selbst stattfindet) nach unten (einem Ort der Stille in unserem Inneren, wo wir unsere Aufgabe in dieser Welt finden, dem sogenannten „Presencing“), um uns dann auf der linken Seite des U (wo wir in Aktion treten) wieder hoch zu bewegen.

Der blinde Fleck – unsere innere Haltung
Scharmer fragt, wieso unsere Versuche die Herausforderungen unserer Zeit zu bedienen, so oft scheitern? Warum wir als Menschen so viele destruktive Verhaltensweisen zeigen. Er sieht den Grund unseres kollektiven Scheiterns im „blinden Fleck“ bezogen auf die inneren Dimensionen von Führung und transformationeller Veränderung. Dieser blinde Fleck existiert aber nicht nur auf der Ebene von Führung, sondern schon in unseren täglichen und individuellen sozialen Interaktionen.

Als blinden Fleck bezeichnet Scharmer einen „inneren Ort“ von dem aus wir agieren, uns verhalten, reagieren und kommunizieren. Wir können beobachten, was wir tun (Ergebnis), wie wir es tun (Prozess) aber wir sind gewöhnlich nicht mit dem „Wer“ in Kontakt: unserem inneren Zustand und unserer inneren Haltung. Wie hören wir unserem Gegenüber zu, mit welcher inneren Haltung? Ermöglichen wir dem Gegenüber seine Sichtweise ohne Bewertung darzulegen und uns als kleiner Teil von einem großen Ganzen zu betrachten?

Was wir betrachten müssen, ist die kognitive Dissonanz zwischen unserem Herzen, welches uns mit einem Gefühl der Möglichkeit verbindet und unserem Kopf, der die beunruhigenden Ereignisse der Vergangenheit wiederspiegelt. Der einzige Weg dorthin ist, so Scharmer, sich selbst zu kennen.
In der Theorie U geht es um die innere Quelle unseres Handelns sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene.
Das Ziel der Theorie U ist es, unsere Aufmerksamkeit zu den Quellen unserer Handlung und unserer Gedanken zu lenken. Scharmer bezeichnet dies mit dem Terminus „Presencing“.

Presencing
Presencing“ (Gegenwärtig oder anwesend werden) ist die Verbindung von zwei Begriffen: presence (Anwesenheit) und sensing (spüren). Presencing heißt, sein eigenes höchstes Zukunftspotential zu erspüren, sich hineinziehen zu lassen und dann von diesem Ort aus zu handeln – d.h. anwesend werden im Sinne unserer höchsten zukünftigen Möglichkeit. In unserer heutigen Zeit etablieren wir aber „absencing“ und bilden so eine Form von Separation. Wir trennen uns voneinander ab, von der Welt außerhalb von uns, was zu Schuldzuweisungen und Zerstörung (von Vertrauen, Beziehungen, der Natur und uns selbst) führt.

Prensencing hingegen bezeichnet eine soziale Technik, in der Ko-Kreation und soziale Wärme im Vordergrund stehen. Presencing bezeichnet also den Moment, in dem unser momentanes Selbst unser bestmögliches zukünftiges Selbst trifft. Präsent zu sein und hinzuspüren. Antworten zu finden auf die Fragen, wer bin ich und was ist meine Aufgabe.  Alte Muster durch neue Möglichkeiten zu ersetzten.

Kopf, Herz, Wille
Die „inneren Wiederstände“, die Scharmer in diesem Prozess artikuliert, sind: Die Stimme der Wertung, Zynismus und die Stimme der Angst. Er verweist darauf, dass im 21. Jahrhundert aber drei andere Dinge von Bedeutung sein werden, um mit den massiven politischen, sozialen und ökologischen Veränderungen sowie kulturellen Spaltungen umgehen zu können:

  1. Öffnung des Denkens: Keine Wertung, sondern Neugierde. Nur durch Erstaunen kann der Prozess der Theorie U beginnen und wir können uns lösen von alten Mustern und mentalen Konstrukten.
  2. Öffnung des Herzens: Kein Zynismus, sondern Mitgefühl und emotionales Denken. Sich ehrlich in andere Menschen hineinversetzten, sie zu betrachten als wäre man verliebt und ihre Sichtweisen und Handlungen zu verstehen und zu integrieren.
  3. Öffnung des Willens: Keine Angst, sondern Mut. Das alte Ich und alte Intentionen loszulassen um das neue Ich kommen zu lassen.

Durch die Herzverbindung treten wir über in eine kollektive Aufmerksamkeitsstruktur. Wir öffnen uns und es ermöglicht uns, tief berührt zu werden und Neues entstehen zu lassen. Sowohl auf individueller, organisationaler und gesellschaftlicher Ebene.

Praktische Instrumente
Scharmer bietet in seinem Buch Handlungsanweisungen und Praktiken, die ermöglichen Wandel im Innern und im Außen zu initieren, von denen ich hier einige nennen möchte:
1. Höre zu und sei achtsam was dir aus deinem Umfeld entgegenkommt
2. Höre zu und tritt in Dialog
3. Ko-initiiere: Kreiere gemeinsame Intentionen, inspiriere und halte diese
4. Gehe auf Entdeckungsreise außerhalb deiner gewohnten Umgebung, deinem sozialen Umfeld. Betreibe Feldforschung
5. Loslassen. Lasse dein „altes Selbst“ (Ego) los und sei offen für das was kommt
6. Intentionale Stille: Wähle eine Übung, die dir hilft, dich mit deinen inneren Quellen zu verbinden (z.b. morgens vor dem Aufstehen einen Moment inne halten und sich überlegen, mit welcher inneren Haltung man der Welt heute begegnet)
7. Die Kraft der Intention. Verbinde dich mit der Zukunft die deiner Bedarf, um in die Welt zu kommen
8. Gestalte Reflexionsräume mit anderen

Laut Scharmer kommt Innovation in die Welt durch Gemeinsamkeit und Miteinander. Scharmer liefert innere Instrumente, um sich selbst im größeren Zusammenhang zu sehen und in Verbindung zu gehen mit den Mitmenschen und der Welt und so kollektiven Wandel entstehen zu lassen.

Absolute Leseempfehlung
Wer über die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen, Organisationen und Systemen nachdenken will und sich fragt, wie er Wandel und Innovation herstellen kann, kommt an Scharmers Theorie nicht vorbei. Was Scharmers Buch so interessant und lesenswert macht, ist sein optimistischer und handlungsorientierter Blick auf Veränderung und Verantwortung und die Kombination von wissenschaftlicher Fundiertheit und ganzheitlicher Betrachtung von Menschen. Beim Lesen des Buches musste ich häufig an die Erfahrungen in der Coaching Ausbildung der Coaching Spirale denken und bin dankbar erfahren zu haben, was es bedeutet, sich mit anderen Menschen zu verbinden und welche Kraft daraus entstehen kann. In der Arbeit als Coach spielt dies meiner Meinung nach die größte Rolle: Unsere innere Haltung uns selbst, der Welt und den KlientInnen gegenüber bestimmt maßgeblich, wie viel Wandel passieren kann.

Für die Arbeit als Coach und Führungskraft liefert das Buch bewegende Ideen und schenkt Mut, sich aktiv und verantwortungsbewusst am positiven Systemwandel zu beteiligen.

Wer mehr über Otto Scharmers Arbeit erfahren will, dem sei die Seite seines Instituts empfohlen. Außerdem läuft gerade ein 1-jähriges Learning Lab des Presencing Instituts in Zusammenarbeit mit der Huffington Post. In diesem werden Ansätze von kollektivem Systemwandel beschrieben und untersucht, wie man eine Ökonomie kreieren kann, die dem Wohlergehen aller dient.

Quellen:

Presencing Institut

Huffington Post

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