07.08.2019 | Blog

Wie du wirklich deine Berufung findest – Do what you love and money will follow

Ein Artikel von: Christin Colli

Wenn ich groß bin, werde ich Astronautin.

Wenn wir jung sind, werden wir oft gefragt: „Was willst du mal werden, wenn du groß bist?“ Meist antworten wir mit Jobs, die wir mit Aufregung verbinden, die Menschen aus unserem Umfeld ausüben oder die wir aus Kinderbüchern kennen.
Ich wollte Cowgirl werden oder National Geographic Fotografin, in späteren Jahren dann Rechtsanwältin, um Bösewichte hinter Gitter zu bekommen oder gegen das „große Böse“ zu kämpfen. Jetzt bin ich gerade Wirtschaftspsychologin (zumindest steht das auf meinem Lebenslauf), Coach und ein Mensch, der sich Gedanken über Systeme macht. Ich bin stetig auf der Suche nach Liebe und Intimität und glaube fest daran, dass wir gemeinsam Systeme ändern können.

Viele Menschen sind beruflich unzufrieden und suchen nach ihrer Berufung. Wir vergleichen uns mit anderen, die „erfolgreicher“ zu sein scheinen. Die „es“ schon geschafft haben. Wir hoffen, die Berufung kommt eines Tages zu uns, jemand möge uns sagen, wofür wir hier sind auf dieser schönen Welt. Die Kriterien bei der Jobsuche sind meist Geld, Aufstiegsmöglichkeiten, die Vereinbarkeit von Familie, Selbstverwirklichung und materielle Absicherung und neuerdings auch der soziale und nachhaltige Impact oder Purpose. Liebe allerdings spielt selten eine Rolle bei der Berufswahl.
Ich vertrete allerdings die These, dass sie eigentlich hinter allem steht, die Liebe, und ein guter Kompass ist.
Wie viel Liebe ist am Arbeitsplatz vorhanden? Wie sehr kann ich mich in diesem Job selbst lieben und dementsprechend Liebe weitergeben? Wie sehr kann ich Zeit mit Menschen verbringen, die ich liebe und die mich lieben?
In meinem heutigen Artikel mache ich mir Gedanken über die Geschichte der Arbeit, um zu verstehen, wie sich unsere Vorstellung von Arbeit verändert hat und wo da die LIEBE versteckt ist.

Vom Notwendigen Übel zur Selbstausbeutung

Adam und Eva so die Mär, liebten sich und lagen lustwandelnd im Paradies rum, machten sich einen faulen Lenz und genossen das Leben. Auch noch die Griechen schätzen den Müßiggang. Aristoteles sah Arbeit als Gegensatz zur Freiheit. Frei sei ein Mann nur, wenn „er nicht unter dem Zwang eines anderen lebt“. Für Xenophon, Politiker und Schriftsteller aus reichem Hause, ist Arbeit eine „banausische“ Tätigkeit, die unfähig macht für den Krieg und keine Muße gewährt, um Tätigkeiten, wie die Pflege sozialer Beziehungen und die Mitwirkung im Gemeinwesen erforderlich zu erledigen.

Nach dem Sündenfall dann das jähe Ende. Im Schweiße unseres Angesichts sollen wir nun unser Brot essen. Für viele Jahrhunderte ist Arbeit ein notwendiges Übel. Das wahre Leben findet außerhalb der Arbeit statt, was bei rund 100 Feiertage im Jahr allerdings kein Problem ist.
Dann aber kommt der liebe Martin Luther und sagte: „Hey hey hey! Müßiggang ist Sünde!“ Er macht Arbeit somit zur Berufung! Luthers Ansicht nach hat jeder Mensch eine von Gott gegebene Berufung und damit einen Beruf. Die Puritaner gingen noch weiter. War Habgier vorher noch ein schlimmes Laster, wird wirtschaftlicher Erfolg jetzt zum Zeichen göttlichen Erwählt-Seins. Grüß Gott Kapitalismus.

In der Aufklärung steigt Immanuel Kant in den Kanon Luthers ein und fügt noch eine Tonlage hinzu, die Selbstverwirklichung:
„Muße? Nichts als leere Zeit. Die Arbeit ist unser Lebenssinn, denn je mehr wir beschäftigt sind, je mehr fühlen wir, dass wir leben, und desto mehr sind wir uns unseres Lebens bewusst. In der Muße fühlen wir nicht allein, dass uns das Leben so vorbeistreicht, sondern wir fühlen auch sogar eine Leblosigkeit.“

Mit der Industrialisierung kommen dunkle Zeiten für das Konzept der Arbeit. Der Mensch als Organisationsmitglied ist nur noch ein passives Instrument, ein Rädchen im Getriebe, je nach Belieben eingesetzt, um einen größtmöglichen Output zu generieren. Das erste Mal wird die Entlohnung an die Leistung gekoppelt, aber… ups…nur der Reichtum der Fabrikbesitzer vermehrt sich und die Arbeiter*innen gehen leer aus. Arbeit wird zur grenzenlosen dynamischen Kraft, die Reichtum, Luxus, Kapital und Einfluss für einige Wenige verschafft.
Dank Arbeiterbewegungen und Gewerkschaften werden Arbeiter*innen gar zu Held*innen. Sozialisten fordern das Recht auf Arbeit. In dem sozialistischen Kampflied „Die Internationale“ tönte es: „Den Müßiggänger schiebt beiseite, diese Welt muss unser sein!“. Der Automobilfabrikant und Antisemit Henry Ford sieht es ähnlich: „Die Zivilisation hat keinen Platz für den Müßiggänger“. Klar. dass er das sagt, schließlich sind wir im Zeitalter der abhängigen Erwerbsarbeit angekommen. Ford war fleißig am Aufbau der deutschen Streitkräfte beteiligt. Liebe und Füreinander: Fehlanzeige!

Zur Zeit des Nationalsozialismus dann „Arbeit macht Frei“. Wir sind endgültig bei einem pervertierten Arbeitsbegriff angekommen – Teil einer autoritären Leistungsgesellschaft. Arbeit wird ideologisiert. Gewerkschaften werden verboten und die „Arbeitsfront“ gegründet. Sie sorgt für Recht und Ordnung auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Hier sind wir im Gegenteil von Liebe angekommen, Kontrolle und Autorität sind an der Tagesordnung und leise klingen sie manchmal in unserem Innern nach.

Frauen an den Herd

Durch das Aufkommen der Erwerbsarbeit in Manufakturen, Fabriken und Büros treten außerdem der Ort, an dem Erwerbsarbeit geleistet wurde und die Sphäre des Hauses, unserer Familien und unseres sozialen Umfelds — ergo dem Ort, wo wir im besten Falle Liebe empfangen — auseinander.
Hier meldete sich auch das Patriarchat. Wenn die Sphären getrennt sind, laufen auch Männerarbeit und Frauenarbeit auseinander. Frauen bleiben zuhause, Männer gehen arbeiten – sie rückten somit auch räumlich voneinander ab. Auch hier Liebe und Gleichberechtigung nada!
Der Beruf und seine Stellung sind Teil der individuellen und sozialen Identität, dank Patriarchat besonders für Männer. Denn ihnen erzählt die Geschichte: Arbeit ist ein Ort, der Zuflucht bietet, Schutz vor emotionaler Achtsamkeit und Emotionen (Kleine Side note: die größten Arbeitgeber der Welt sind das US-Verteidigungsministerium und die Volksarmee in China)¹.
Arbeitslosigkeit ist deshalb unter identitätsstiftenden Aspekten für Männer eine größere Bedrohung als für Frauen. Zeit für sich – sich selbst kennenzulernen – bedeutet für Männer im Patriarchat häufig noch, Kontrolle zu verlieren oder abgeben zu müssen. Beruflicher Misserfolg oder Arbeitslosigkeit ist besonders in Deutschland dank seiner Geschichte ein massives Stigma, aber in allen patriarchalen Gesellschaften für Männer eine massive Bürde.

21. Jahrhundert: Lauter kleine Unternehmer*innen.

Mitte der 70er kam dann eine scheinbare Atempause für alle Arbeiter*innen. Die neuen „post-fordistischen“ Modelle, die ab den 1970er Jahren den Fordismus ablösen, nutzen systematisch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien und verlegen die Kontrolle der Arbeit und teilweise auch ihre Planung sowie die Verantwortung für den Markterfolg in die Selbstverantwortung der Arbeitskräfte. Nicht ganz uneigennützig, denn kleinere Teams erschwerten auch den Arbeitskampf gegen die Obrigkeit.

Im jetzigen Dienstleistungszeitalter gibt es systembedingt zunehmend noch 2 Dimensionen, Arbeiter*innen im Billiglohnsektor mit prekären Arbeitsverhältnissen und Arbeiter*innen, die die Wahl haben und auch ¬alles tun, um einen guten Job zu ergattern, denen sie ihr Leben widmen können – mit größtmöglichem Gestaltungsspielraum. Viele Jobs werden prekärer und wer einen gut bezahlten Job hat, widmet sich ihm mit ganzer LEIDENschaft. Wir wollen heutzutage etwas Sinnvolles tun und gleichzeitig materiell abgesichert sein. Digitaler Nomade werden, im Homeoffice arbeiten, mehr Freiheit haben.
Es entstehen neue Arbeitsbereiche, weil wir als Menschen am besten die Folgen unseres eigenen Handelns bekämpfen: Coaching und Psychotherapie florieren, weil leider immer mehr Menschen unter den Folgen der Arbeitsbedingungen und dem dazugehörigen Konzept von Arbeit leiden.

Fest steht: Nirgends finden wir Belege dafür, dass Arbeit Liebe sein kann, wenn, dann finden wir Sympathien für Faulheit und Sinn der Ruhe. Es wird deutlich: Arbeit ist ein Konstrukt. Nicht eines, das jeder für sich beliebig verändern kann, aber eines, das unter gewissen Gesichtspunkten entsteht und sich wandelt. Eines, das seit Jahrtausenden unsere Überzeugungen über Arbeit und somit unser Leben massiv beeinflusst.

Wir in den Industriestaaten definieren Arbeit nicht mehr nur als Erwerbsarbeit. Da liegen unsere Chancen. Was wird passieren? Wird die Bedeutung von Arbeit abnehmen? Wenn ja, was tritt an ihre Stelle? Welche Form von Arbeit und Erde wollen wir hinterlassen, wenn wir nicht mehr auf der Erde sind? Für unsere Kinder, Enkel und Urenkel oder einfach für die Menschen, die nach uns noch auf der Erde leben werden?

Love is in the air

Ich plädiere dafür, dass wir täglich eine Welt kreieren, in der wir uns lieben und unsere tiefsten Wunden geheilt werden, während wir „arbeiten“. Eine Welt, in der Männer, die zu Arbeit gehen, geliebt werden und Liebe geben dürfen, in der Männer nicht mehr dazu gezwungen werden, dass ihre Herzen gebrochen werden, um den Job gut zu erfüllen. Eine Welt, in der Frauen ihre weiblichen Qualitäten leben und Führungsrollen übernehmen, liebevolle nachhaltige Unternehmen gründen. Eine Welt mit mehr Vertrauen und Liebe. Dann entsteht Kreativität und wahre Innovation.

Wenn wir Liebe als Maßstab unserer Berufswahl und unseres Tuns nehmen und Jobs mit Liebe und Verbundenheit kreieren oder ausüben, wo es darum, geht füreinander da zu sein, miteinander eine gute Zeit zu haben, auch gemeinsam Müßiggang zu zelebrieren, mitzubekommen, wenn unsere Kolleg*innen oder Chef*innen Unterstützung brauchen, dann ist Veränderung möglich.
Wir sind aufgerufen unseren Einfluss zu erhöhen und uns klar zu machen, dass wir Menschen liebende Gestalter*innen sind, die ein neues System erschaffen und den Einfluss des jetzigen Systems mit seinen Konzepten von Arbeit und Erfolg schmälern. Wir sollten aufhören ständig unserer Berufung hinterherzulaufen oder zu warten bis sie eines Morgens an unsere Tür klopft und stattdessen mit mehr Liebe – bei uns selbst angefangen.

Vielleicht müssen wir gar nicht unseren Job wechseln, wenn wir unzufrieden sind, sondern als gutes Beispiel unseren Kolleg*innen und Chef*innen helfen, ihnen mit Liebe begegnen und so eine Veränderung in uns und in ihnen zu bewirken. Gemeinsam Visionen und Utopien voller Liebe kreieren, besser Wirtschaften, und dafür brauchen wir auch ein neues Konzept von Arbeit.
Es ist eine unserer größten Führungsherausforderungen, Situationen, die sich beängstigend und überwältigend anfühlen, in eine Gelegenheit zu verwandeln. Aktivismus kann Spaß machen. Liebe als Maßstab für Entscheidungen bei der Berufswahl und im Berufsalltag wären ein guter Anfang.
So sollte es eigentlich lieber heißen, do what you love and love will follow.
Mit Liebe geschrieben!

Quellen:
Geschichte der Arbeit- BpB
Thesen zur Geschichte und Zukunft der Arbeit – BpB –
Arbeit ist Mehr Last als Lust – Zeitgeschichte online
¹ Statista Arbeitgeber mit meisten Beschäftigten

Literaturempfehlung:
Bell Hooks – All about Love
Bell Hooks – The will to change: men, masculinity and love
Charles Eisenstein – Die schönere Welt, die unser Herz kennt, ist möglich

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