02.10.2019 | Blog

Donut Ökonomie – Warum es neue ökonomische Ideen braucht

Ein Artikel von: Christin Colli

Am 20.9 waren wir als Team der Coaching Spirale auf der Straße und haben für eine nachhaltige Klimapolitik demonstriert. Wie ich so auf der Straße lief war ich gerührt. Gerührt vom menschlichen Einfallsreichtum, der Vielzahl an kreativen und unterhaltsamen Plakaten, gerührt von der menschlichen Fähigkeit, selbst in komplexen Situationen nicht den Humor zu verlieren, gerührt von den vielen jungen Menschen, die für den Klimawandel aufstehen, andere inspirieren und rufen: „Wir brauchen Wandel. Wir brauchen jetzt Lösungen für Probleme, die noch vor uns liegen“.
Wie ich so auf der Straße lief, fragte ich mich allerdings auch, wie kann aus dem Kapitalismus eigentlich ein regeneratives Wirtschaftsmodell werden? Ein Wirtschaftssystem, dass die Bedürfnisse jedes Einzelnen in Einklang mit den Bedürfnissen der Erde bringt und Klimagerechtigkeit schafft? Wie schaffen wir es als Menschen (Individuen und Organisationen) weniger zu konsumieren, weniger zu wollen und ein Wirtschaftssystem auf- und auszubauen, dass die Natur und Empathie für uns und andere in den Mittelpunkt stellt und so den Klimawandel abmildert und nicht länger soziale Ungerechtigkeit kreiert?
Ein radikales ökonomisches Modell der Ökonomin Kate Raworth, dass dieses versucht, nennt sich die „Donut Ökonomie.“

Für eine ganzheitliche Wirtschaft brauchen wir Kreativität

Ein Artikel im Krautreporter beschrieb letzte Woche sehr bildlich, die momentane kapitalistische Wirtschaft sei „ein Kind, dass in der Wachstumsphase hängen geblieben ist. Wir päppeln sie auf, verabreichen ihr Konjunkturspritzen und sorgen dafür, dass sie schön weiterwächst“¹. Allerdings, so der Autor, benötigen wir eine „erwachsene“ Wirtschaft. Ein Blick in die Presse zeigt uns – egal ob Klimawandel, Umweltzerstörung, Hunger, soziale Ungerechtigkeit – die ökonomischen Probleme unserer Zeit sind vielfältig und komplex, die Lösungsansätze meist eindimensional und die theoretischen Konzepte entstammen alle derselben neoliberalen Denkschule, die an vielen Universitäten und Schulen immer noch gelehrt wird.
Was wir aber brauchen, sind alternative ökonomische Ansätze, die eine Zukunft kreieren, die Erde schützen, regenerativ funktionieren und für Klimagerechtigkeit sorgen. Was wir brauchen sind innovative und radikale Modelle und Theorien. Neugier, Kreativität und Vorstellungskraft.

Welchen Sinn hat das Bruttoinlandsprodukt?
Bisher orientiert sich unser Wirtschaftswachstum am Bruttoinlandsprodukt, um das volkswirtschaftliche Wachstum zu überwachen.
Das Bruttoinlandsprodukt wurde im 2. Weltkrieg eingeführt, weil die Regierungen der USA und Großbritannien berechnen wollten, wie viel Geld sie für den Krieg ausgeben konnten. Die Politik und Wirtschaft orientiert sich bis heute an dieser inzwischen destruktiven Messgröße und meint, je höher das BIP desto höher der Wohlstand. Dies ist eine höchst fragwürdige Rechnung. Unbegrenztes Wachstum kann keine Lösung sein, in keiner Beziehung, weil es kein Ende kennt.
Das BIP sinkt, wenn ich mich entscheide, meine kranke Mutter zu pflegen, statt Vollzeit arbeiten zu gehen. Es sinkt auch, wenn ich als Investmentbankerin meinen Job an den Nagel hänge und im Ehrenamt alte Menschen pflege oder Bäume pflanze. Es sinkt, wenn ich mich entscheide, als Elternteil länger bei meinem Kind zu bleiben, statt zu arbeiten. Eine Gesellschaft, in der sich Menschen umeinander kümmern, geht es besser, das BIP allerdings sieht das anders. Es ist also augenscheinlich kein sinnvoller Maßstab mehr für Wohlstand und Wohlbefinden eines Staates.
Viele andere Faktoren, die nicht vom BIP erfasst werden, beeinflussen das Wohlbefinden und die soziale Gerechtigkeit einer Gesellschaft. Dazu gehören die Verteilung von Reichtum und Einkommen, die Gesundheit der globalen und regionalen Ökosysteme (einschließlich des Klimas), die Qualität des Vertrauens und der sozialen Interaktionen auf mehreren Ebenen, der Wert der Elternschaft, der Haushaltsarbeit und des Ehrenamts. Daher wäre es an der Zeit, menschlichen Fortschritt an anderen Indikatoren als dem BIP und seiner Wachstumsrate messen. Die auf exponentielles Wachstum ausgerichtete Wirtschaft beutet den Planeten und seine Bewohner*innen immer rücksichtsloser aus und raubt künftigen Generationen die Lebensgrundlage. Trotz des enormen Ressourcenverbrauchs gelingt es dabei nicht mal, die Bedürfnisse aller Menschen zu stillen. Ganz im Gegenteil: Ökonomische und soziale Ungleichheiten nehmen stetig zu, Hunger und Armut bestehen fort. Dennoch ist der Glaube an wirtschaftliches Wachstum ungebrochen – in der Politik wie auch in der Wirtschaftswissenschaft. Hier setzt Kate Raworth an: Ihr Modell der „Donut-Ökonomie“ zeigt auf, wie eine radikale Neuausrichtung des ökonomischen Denkens und Handelns – orientiert an sozialen und ökologischen Zielen – aussehen muss. Damit weist sie einen Weg aus dem Krisenkapitalismus auf und macht Mut für eine bessere Zukunft.

 

Donut Ökonomie Kate Raworth

Donut Ökonomie – Kate Raworth, Quelle: Wikipedia (Mit Klick vergrößern)

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Donut Ökonomie
Die Ökonomin Kate Raworth hat ein ebenso simples wie radikales Modell entworfen, indem sich unser ökonomisches Handeln im Raum zwischen dem sozialen Fundament der Gesellschaft und den ökologischen Grenzen abspielt. Sie hat sich ein nicht gerade einfaches Ziel gesetzt: Sie will das Wirtschaftssystem revolutionieren – mithilfe eines Donuts. In der Praxis heißt das, dass lebensnotwendiges wie Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung allen zugänglich ist – allerdings im Rahmen der auf dem Planeten verfügbaren Mittel und Ressourcen. Der Donut in ihrem Modell ist eine spielerische Metapher für die ernste und dringend zu meisternde Herausforderung, vor der wir derzeit stehen. Im Innern des Donuts sehen wir, was vielen Menschen fehlt. Viele haben nicht ausreichend Nahrung, keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und auf der anderen Seite überschreiten wir in vielen Bereichen die ökologischen Grenzen der Erde (Außerhalb des Donuts). Ziel ist eine Balance, so dass wir im Donut selbst zuhause sind. Der Maßstab ist also Balance und nur bedingt Wachstum.
In einem Interview mit der österreichischen Zeitung „Der Standard“ sagt sie den sehr inspirierenden Satz:

„Ein System, das endlos wächst, zerbricht, also müssen wir uns fragen, was uns so abhängig davon macht. Die Entstehung der Ökonomie wurde von Regeln der Physik geleitet. Ich wünsche mir, es wäre Biologie gewesen, dann würden wir heute nicht von Marktmechanismus, sondern Marktorganismus sprechen“².

Die Donut Ökonomie sieht den Menschen nicht als Homo economicus, der nur auf seinen wirtschaftlichen Vorteil bedacht ist, sondern sie sieht den Menschen als soziales Säugetier, als Teil eines Organismus (der Erde) mit einem Gehirn, das auf Kooperation und Mitgefühl ausgerichtet ist und als Wesen, dass anstatt die Natur zu dominieren, tief von ihr abhängig ist. Die Erde und wir als Menschen als Teil von ihr, brauchen ein Wirtschaftssystem indem wir nachhaltigen Mehrwerte schaffen, von Anfang an teilen, um soziale Ungerechtigkeit zu bekämpfen, die Spanne zwischen Arm und Reich zu verringern und die Erde zu erhalten. Als mögliche Beispiele nennt Kate Raworth alternative Eigentumsformen für Unternehmen wie Mitarbeiterbesitz oder Genossenschaften (mehr dazu in unserem Blogartikel: Verantwortungseigentum ). „Eine weitere Möglichkeit ist, Wissen nicht in Patenten einzufrieren, sondern sie stattdessen wie Gemeingüter zirkulieren zu lassen. Auf diese Weise durchdringen sie die Gesellschaft und Forschungsgemeinschaften können sie weiterentwickeln. Ein dritter Ansatz ist der Einsatz lokaler Währungen mit dem Ziel, neue Initiativen anzustoßen und zu verknüpfen und somit nicht nur ein nachhaltiges, sondern ein generierendes Wirtschaftsmodell zu etablieren. Warum sollten Unternehmen nur danach streben, die Umweltbelastungen zu verringern, wenn sie doch genauso gut positive Effekte erzeugen können? Statt die Emission von Treibhausgasen zu reduzieren, können sie mit der Erzeugung erneuerbarer Energie beginnen und diese Ihrer Umgebung bereitstellen. Gleiches gilt für die soziale Ebene, auf der Unternehmen aktiv zum Wohlergehen ihres Viertels oder ihrer Gemeinde beitragen“³.

Coaching & Wirtschaftssysteme & Menschenbilder

Wer bis hier her gelesen hat, fragt sich jetzt vielleicht, was das jetzt eigentlich mit Coaching zu tun hat. Wir verstehen uns als Coaching Firma, die Menschen darin ausbildet, individuelle und gesamtgesellschaftliche Veränderung zu initiieren und zu begleiten. Die weltweiten Herausforderungen rufen nach innovativen, kreativen Lösungen und dem Verständnis von komplexen Zusammenhängen. Wir als Unternehmen sind ständig auf der Suche nach Möglichkeiten, wie wir unser Unternehmen nachhaltig und regenerativ gestalten können. Wie wir Menschen ermutigen können, sich zu ermächtigen, Dinge zu ändern und einen positiven Wandel mitzugestalten. Dazu gehört es, ein Menschenbild zu kultivieren, das nicht von einem rational getriebenen Menschen ausgeht, der Eigennutz im Kopf hat und sich die Natur Untertan macht, sondern nach inspirierenden und berührenden Bildern zu suchen, die das kollektive Bewusstsein ändern.

Die Donut Ökonomie mag für uns bisher unvorstellbar sein, vielleicht ertappen wir uns dabei, dass wir denken: „Den Kapitalismus ablösen, wie soll das gehen?“ Gerade deshalb brauchen wir inspirierende Bilder und Modelle, die uns Orientierung geben und potentielle Wege für nachhaltige Wirtschaftsweisen eröffnen. Für eine gemeinsame lebenswerte Zukunft aller Lebewesen.

Quellen:

[1] Krautreporter – Wir reden in der Klimakrise am eigentlich Problem vorbei
[2]  Der Standard – Ein System das endlos wächst zerbricht
[3]  Die Farbe des Geldes – Die Donut Ökonomie Interview mit Kate Raworth

Weiterführende Links zum Thema zukunftsfähige Ökonomie:
Kate Raworth: Die Donut-Ökonomie: Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört
Institut für zukunftsfähigke Ökonomien
Exploring Economics

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